Schwieriger als die Unberechenbarkeit von Kindern und fast so schwierig wie die Unzuverlässigkeit meines Körpers, empfinde ich (nicht nur zurzeit) das territoriale Verhalten, das bei manchen Männern noch etwas ausgeprägter ist, als beim „starken Geschlecht“ allgemein üblich. Der Beschützerinstinkt von testosterongesteuerten Männern ist besonders groß und ihr Verhalten hat somit eine ehrenhafte Ursache.
Sie verteidigen „ihr“ Territorium nur deshalb, um ihre Frau, Lebensgefährtin und/ oder Kindern den Schutz zu geben, den sie nach Auffassung der Männer benötigen. Ehrenhaft. Allerdings problematisch, wenn das Testosteron der Männer dabei die Kontrolle über sie übernimmt und sie sich aufführen, wie ein Elefantenbulle in der Musth.
Soll heißen, wenn sie nicht mehr nachdenken, sondern dem hormonellen Imperativ folgen, statt Logik und Rationalität. Wenn sie zum Beispiel Gefahren sehen, wo keine existieren und auf alles, was ihnen Angst macht, aggressiv losgehen.
Oder der Auffassung sind, dass die Stadt nicht groß genug und die Straße nicht breit genug für alle sei, sondern ihnen allein gehöre. So bin ich (ebenfalls am Mittwoch, auf dem Weg zur Physio, kurz nach meinem Beinahe-Zusammenstoß mit dem Dreijährigen) an der Ampel über die Straße gegangen. Und wurde von hinten angepöbelt „Mädel, nun geh doch schneller. Man Mädel, beweg Dich mal. Du sollst schneller gehen!“.
Auf der anderen Seite angekommen, drehte ich mich um. Vor mir stand verblüffenderweise (bei der Wortwahl rechnete ich mit etwas anderem) ein etwa 60-65 Jahre alter Mann (Gattin an seiner rechten Seite, angeleinten Mini-Hund an der linken Seite) und motzte weiter: „Da brauchst Du nicht blöd gucken, Mädel. Schneller gehen! Die Ampel ist längst wieder rot.“.
Ich habe sein unverschämtes Benehmen gegen den Respekt abgewogen,
der ihm seinem Alter entsprechend gebührt.
Übrigens: Ob Mann oder Frau, es hilft sich zu fragen, warum man/ frau selbst auf eine bestimmte Art agiert oder reagiert.
Und entschied, es mit Galgenhumor zu nehmen (von jemanden derart angemacht zu werden, der bei vertauschten Rollen seinerseits vermutlich auf Rücksichtnahme pocht, hat schon etwas Ironisches und zugleich etwas Trauriges.) und antwortete ihm freundlich „Schneller geht es leider nicht. Ich hatte einen Unfall, mein Innenohr ist kaputt und ich habe Schwindelanfälle. Wem ich zu langsam bin, kann mich gerne überholen. Aber ich freue mich für Sie, dass Sie in Ihrem Alter noch so flott unterwegs sind. Das ist doch schön.“
Er hastete wortlos weiter.
Seine Frau jedoch kam zu mir zurück und entschuldigte sich „Bitte entschuldigen Sie meinen Mann. Das konnte er nicht ahnen. Sie wissen ja, wie Männer sind!“.
Ich stimmte ihr zu. Denn ich weiß, was Angst aus Männern machen kann und dieser Mann hatte wohl Sorge, mit Frau und Hund nicht rechtzeitig auf den Bürgersteig zu kommen, bevor die Autos anfuhren.
Die Logik hätte ihm sagen müssen, dass kein Auto losfahren würde, wenn sich noch jemand vor der Stoßstange befindet. Um sicher zu gehen, hätte er mich überholen können. Dann hätten sie nur mich zur neuen Kühlerfigur gemacht.
Ganz abgesehen davon, hätte er sich überlegen müssen, dass es einen Grund gibt, wenn eine Frau mittleren Alters für eine Straßenüberquerung mehr Zeit als Gleichaltrige braucht.
Sein Verhalten war also absolut unlogisch!
Doch die Wahrheit ist, dass Angst bei jedem von uns dazu führen kann,
unlogisch zu erscheinen und bedrohlich zu wirken.
Das gilt übrigens für uns alle, ganz gleich, ob Mann, Frau oder Drittem Geschlecht angehörend. Und ebenfalls unabhängig davon, welche gesellschaftliche Stellung wir innehaben. Darum ist die Art und Weise entscheidend, wie wir mit der Angst umgehen, der eigenen und der Angst der anderen Menschen.
Ich nehme zum Beispiel auf die Ängste anderer Menschen Rücksicht, soweit es mir nur irgend möglich ist. Denn das ist es, was ich auch von anderen mir gegenüber verdammt noch einmal einfordere! Rücksichtnahme uns Respekt sind nämlich keine Einbahnstraßen!
Und bei meiner Rücksichtnahme gibt es eine Grenze. Ich bin NICHT bereit, mir vor lauter Rücksicht auf die Furcht meines Gegenübers mir seine Angst überstülpen zu lassen und davon bestimmen zu lassen, wie ich mein Leben lebe.
Die Angst eines anderen bestimmt beispielsweise NICHT darüber, wo ich mich aufhalte oder wie schnell bzw. langsam ich mich fortbewege! Selbst wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, wäre ich daher keinesfalls schneller gegangen, weil mich jemand anmotzt.
Und ich verstecke mich nicht, löse mich auch nicht in Luft auf, um die unlogischen Ängste anderer vermeintlich zu beruhigen und sie in Wahrheit dadurch weiter anzufüttern.
Es gibt Menschen, die unangenehmen Situationen ausweichen, sie vermeiden, ihnen lieber entfliehen, statt sie durchzustehen. Keine Ahnung, wieso sie damit klarzukommen meinen, mein Weg ist das jedenfalls nicht. Und ich lasse ihn mir auch nicht aufzwingen!
Ich bin es gewohnt, mich meiner Angst zu stellen, auszuharren, ihr standzuhalten und sie kleiner werden zu lassen, indem ich mich ihr stelle. Das ist kein Zeichen besonderen Mutes, sondern das liegt in den Erfahrungen meines Lebens begründet.
Zum einen kann man der Angst nicht davonlaufen, sie hält Dein Tempo locker mit.
Zum anderen ist es schlicht und ergreifend so, dass JEDES Mal, wenn ich meiner Angst nachgebe (oder der Angst anderer nachgebe, damit sie sich besser fühlen und beruhigt sind), dies dann IMMER nur ausgenutzt und gegen mich verwendet wird. In einer unfassbaren Maßlosigkeit und mit einer Selbstverständlichkeit, die mich mindestens so erschüttern, wie die Ausnutzung meiner Angst an sich
.„Meine“ Art mit Angst umzugehen, hilft mir hingegen auch in der aktuellen Situation.
Natürlich würde ich lieber alles meiden, was Schwindelanfälle verstärkt bzw. auslöst – aber das würde mir doch nicht weiterhelfen! Also zwinge ich mich dazu, die damit verbundenen Ängste auszuhalten und mich ihnen immer wieder auszusetzen.
Was dabei hilft? Sich an den schönen Dingen des Lebens zu erfreuen, Neues kennenzulernen, zu singen und zu lachen. Und natürlich DAS Buch schlechthin zum Thema „Umgang mit eigener Angst und der Angst anderer“, nämlich der Star Trek Classic-Roman „Uhuras Lied“ von der großartigen Autorin Janet Kagan. Ich lese es gerade mal wieder und lege es jedem wärmstens ans Herz!
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