Fürchtet Euch nicht! – Vom Umgang mit der Angst und dem Beängstigendem.
Heute in Form der eigenen körperlichen Defekte, von Kindern und testosterongesteuerten Männern.
Seufz, Kinder! Laufende Kinder, kreischende Kinder, Kinder auf Skateboards und auf diesen komischen Brettern, auf denen man breitbeinig stehend vorwärtsrollt (komme nicht auf den Namen) und natürlich Kinder auf Fahrrädern. Kinder. Laut, schnell und in ihren Bewegungen unvorhersehbar – Kinder eben.
Ich freue mich über Kinder. Über ihre Lebensfreude und ihre Unbeschwertheit. Das zu sehen, tut mir immer gut. Aber im Moment… bin ich etwas schreckhaft und es dreht sich bei mir alles, wenn ich mich unbedacht bewege.
Außerdem bin ich bedeutend langsamer als sonst und kann ihnen nicht so schnell Platz machen. Nur dem rettenden Zugriff seiner Mutter habe ich es zum Beispiel zu verdanken, dass mich Mittwoch auf dem Weg zur Physio der flotte Dreijährige auf seinem Laufrad nicht umnietete.
Ich hatte es gerade geschafft, die am Schaufenster stehengebliebene Familie zu passieren, da gab Junior Gas und ich dachte nur noch: „Wenn er Dich auch nur anstupst, liegst Du wieder auf dem Rücken.“ Seine Mutter erwischte ihn noch rechtzeitig am Kragen. Glück gehabt und ihr ein erleichtertes Lächeln geschenkt. WIRKLICH erleichtert, denn wenn ich falle, brauche ich eine gefühlte Ewigkeit, um die Übelkeit und den Schwindel soweit in den Griff zu kriegen, dass ich mich wieder aufrappeln kann.
Wenigstens weiß ich inzwischen warum es nur so langsam gesundheitlich wieder aufwärts geht. Ich habe eine Diagnose für die Schwindelursache und mir diese durch einen zweiten, krankenhaus-externen, HNO bestätigen lassen.
Mein rechtes Vestibularorgan wurde beschädigt und ist ausgefallen. Ich kann damit leben. So wie man auch mit nur einer Niere oder nur einem Lungenflügel leben kann. Mein Gehirn muss sich allerdings erst mit dieser Behinderung arrangieren. Und das dauert eben so lange, wie es dauert.
Normalerweise bekommt das Gehirn von beiden Augen, beiden Ohren und der Muskulatur genaue Meldungen, über die Haltung und die Bewegung des Körpers, sowie über die Gegebenheiten der Umgebung. Jetzt ist es verwirrt, denn die Meldungen vom rechten Ohr bleiben aus. Mein Gehirn muss nun lernen, die „Meldestation Vestibularorgan des rechten Ohrs“ vollkommen zu ignorieren und sich nur noch auf die anderen Meldungen zu verlassen, ohne sie überzubewerten.
Nicht ganz einfach. Schließlich hat mein Gehirn sich 43 Jahre auf die Zuverlässigkeit des Zusammenspiels der Organe verlassen. Und nun soll eines komplett ignoriert werden. Das nun zu lernen, geht nicht so schnell.
Was heißt das denn nun konkret?
Am Montagmorgen war ich zum Beispiel erstmals bei meinem neuen HNO und habe mich gründlich untersuchen und beraten lassen. Der Termin begann um 9.45 Uhr und endete um 11.55 Uhr. Die HNO-Untersuchungen bringen es immer mit sich, dass der Schwindel und die Übelkeit stärker werden und der Linksdrall (zur Seite des korrekt sendenden linken Vestibularorgans) zunimmt. Es ist dann wichtig in Bewegung zu bleiben, solange es nur irgend geht. Ich darf dem Wunsch nach Ruhe nicht zu früh nachgeben, mich nicht verhätscheln.
Also bin ich zur Krankenkasse „geschlichen“, danach durch den REWE geschlurft und habe mir bei der Gelegenheit Toast, Salami und einen Joghurt geholt (diesmal sogar ohne im Regal/ Kühlschrank zu landen!). Erst dann ging es im Schneckentempo torkelnd zu Omas und meinem Lieblingsplatz in ROW. Ab auf die Parkbank mit meinem Alabasterkörper.
Mein nächster Termin war erst um 17.30 Uhr. Das wusste ich ja vorher und war kleidungstechnisch vorbereitet. Wenigstens das. Nicht vorbereitet war ich nämlich darauf, dass es gut drei Stunden dauerte, bis die (parkenden!) Autos sich nicht mehr zu bewegen schienen und bis ich es schaffte, die Fahrradfahrer und Hunde-GassigeherInnen mit den Augen zu verfolgen, ohne das Gefühl zu bekommen, in einem Karussell zu sitzen.
Ich hatte mir schlichtweg zu viel zugemutet und bekam die Quittung. Ich habe das Beste daraus gemacht, die Sonne in meinem Gesicht genossen und versucht, mich von all dem Mist abzulenken und aufzuhören, bei jedem lauteren Geräusch zusammenzuzucken und mich nach ihm umdrehen zu wollen.
Interessant ist, was ich herausfand, als ich zwei Bäume von der anderen Seite der Grünfläche zeichnete. Einfache Striche waren kein Problem. Beim schraffieren wurde mir durch die hin und her Bewegung wieder schwindeliger. Ich habe es dann sein lassen. Der Tag war anstrengend genug.
Um 17.30 Uhr war dann der Termin für die Nachbesprechung für die anderen Unfallfolgen (gleichfalls Zweitmeinung eingeholt, von einem ebenfalls krankenhaus-externen Chirurgen). Ich war früher in der Praxis angekommen und so schon um 17.45 Uhr fertig. Hatte also noch 15 Minuten, um mit den zusätzlichen Ergebnissen nochmals zur Krankenkasse zu gehen. Tja, gesund kein Problem. Aber so musste ich um 17.56 Uhr, nach nicht einmal der Hälfte der Strecke, aufgeben.
Es ist beschissen, vom eigenen Körper im Stich gelassen zu werden! Es ist beängstigend und frustrierend.
Also bin ich rein in den „dm“ und holte mir Brottrunk (prima Durstlöscher und als toller Vitamin B-Lieferant auch gut für die Nerven!) und Cranberry-Ricola Bonbons (einfach zum genießen und gute Laune-Aufbau), bevor ich mir mein Taxi zurück nach Visselhövede rief.
Während ich wartete, gab es dann noch ein eigenartiges Erlebnis, das mir wieder einmal vor Augen führte, vor welch kuriosen Dingen selbst gestandene Männer Angst haben.
Und wie unterschiedlich wir Menschen mit unseren Ängsten und den Ängsten anderer umgehen. Doch dazu Morgen mehr, in Teil 2 von „Kinder und testosterongesteuerte Männer“ …
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